Dieser Artikel ist im newthinking Magazin ‘Open Everything’ im Mai 2013 erschienen:
Viele gründen Start-ups in Berlin, viele Zaungäste stürzen sich darauf – aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Absichten. Verhindert werden muss jedoch, dass kreatives Innovationspotenzial auf dem Weg einer Anpassung an klassische Venture-Capital-Strukturen auf der Strecke bleibt.
Worum geht es bei der Diskussion um den Start-up-Standort Berlin: Um die Stadt? Um die Community? Um den eigenen Geldbeutel? Was sind die relevanten Fragen? Züchten wir Unternehmenszombies für die vorhandenen Business-Strukturen heran? Bilden wir nicht sogar künstliche Ruinen? Prof. Dr. Kai Vöckler hat sich in seinem Buch Die Architektur der Abwesenheit. Über die Kunst, eine Ruine zu bauen mit der Kulturgeschichte der Chimäre auseinandergesetzt und kommentiert in einem Kurzgespräch:
In deinem Buch beschreibst du eine lange Tradition der nutzlosen Architektur, die allein zur Erbauung der Betrachter entwickelt wurde. Sie hat viel mit Zeitgeist und Weltbildern zu tun. Was hat es damit auf sich?
Du meinst die antikisierten künstlichen Ruinen, wie sie in den Landschaftsparks gebaut wurden. Ich würde diese nicht als nutzlos bezeichnen, denn sie dienen ja, wie du selbst sagst, der Erbauung – wie der Park auch. Ich würde sogar sagen, dass sie einen Erkenntnisgewinn versprechen, wenn man sich auf sie einlässt. Nicht nur erinnern sie an die Vergänglichkeit der Dinge und des Lebens, sondern können auch einen wichtige kulturelle Funktion haben, indem sie etwa einen Bezug zur Antike herstellen, auch wenn die Griechen und Römer nie in Kassel oder Dessau waren. Man kann das als Fake abtun, unterschätzt dann aber die wichtige sinnstiftende Wirkung solcher künstlich ruinierten Monumente.
Wie schätzt du eine neue Start-up-Kultur in Berlin und in Deutschland ein: Drohen hier, im übertragenen Sinne, nicht auch künstliche Ruinen?
Das liegt in der Natur der Sache. Nichts ist von Dauer, und manchmal stellt sich der Verfall schneller ein, als man möchte. Umso interessanter ist, dass einige Künstler und Architekten das unweigerliche Verschwinden ihrer Kunstwerke mitdenken und zum Thema machen. Das kann man von der Start-up-Kultur nun nicht erwarten, hier geht es ja um Kommerz und nicht um Kunst. Da ist jedes Scheitern natürlich unwillkommen. Künstler sehen das anders. Um Beckett zu zitieren: »Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.« [1]
Was hältst Du von einer Erweiterung der Begrifflichkeit Creative Entrepreneurship?
Den »Entrepreneur«, der sein Scheitern zum Thema macht, habe ich noch nicht kennengelernt. Der wäre wirklich etwas Neues.
Um zu scheitern, muss man erst einmal anfangen. Nur dann kann man auch verlieren. Für Berlin gilt es ja in diesen Tagen vor allem dazu zu gehören – zu dieser förderwürdigen Crowd von Gründern, die die Investoren überzeugen. Im internationalen Kontext gibt es hingegen keine Anzeichen, dass Berlin eine relevante Rolle spielt. Eine Liste des Benchmarking-Projekts Startup Genome [2] sieht erwartungsgemäß auf Platz 1 Silicon Valley, auf dem zweiten Rang folgt die israelische Metropole Tel Aviv. Auffallend viele US-amerikanische Regionen haben den Sprung in die Top Ten geschafft. Berlin landet auf Platz 15.
Die Relevanz der Berliner-Start-up-Szene steht in keinem Verhältnis zu ihrer Selbstwahrnehmung. Es scheint so, dass die Akteure den Standort sehr überschätzen und immer mehr weitere Marktteilnehmer auf diesen Zug aufspringen. Das macht aber noch keine einzige neue Firma, sondern vergrößert nur die Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion. Aus diesem Grund ist es umso entscheidender, einige Eckpunkte zu beherzigen, möchte man sich erfolgreich und fördernd in der Gründerszene bewegen.
Anstelle der Interessen von Investoren sollte insbesondere der Unternehmergeist aufstrebender Akteure gestärkt werden. Ziel sollte es sein, offene IT- und Webwelten zu stützen und keine neuen Monopole errichten zu wollen, nur weil sie den größten Profit versprechen. Berlin muss sich als Standort für ein offenes Web wahrnehmen und positionieren, denn unsere aktuellen Möglichkeiten der Kreativität strahlen weit über den engen Start-up-Horizont hinaus. Berlin ist eine DIY-Capital! Musik und Kunst sind im besten Sinne Standortfaktoren. Daher sind die Verdrängungsprozesse durch hochfinanzierte Venture-Capital- und Start-up-Unternehmen als Bedrohung der Kreativen-Ursuppe Berlins zu verstehen und verhindern (lustigerweise) die wirtschaftliche Gesundung der Stadt, denn sie sind nicht unbedingt nachhaltig oder gar fair. »Die allermeisten Start-ups verschwinden wieder«, sagt Alexander Hülsing vom Gründerszeneportal deutsche-startups.de, denn, so fährt er fort: «Die Erfahrung des Scheiterns ist Teil der Kultur.« [3]
Etliche UnternehmerInnen geben auf, wenn ihre Ideen nicht den erhofften Erfolg erbringen. Und suchen sich einen neuen Arbeitsplatz als Angestellte. In den USA scheint das anders zu sein. Wenn ein Projekt scheitert, wird ein neues in Angriff genommen, und sollte es wieder nicht funktionieren, folgt ein weiterer Versuch. Hüsing macht klar: »Wir müssen daran in Deutschland arbeiten, dass Scheitern kein Makel mehr ist.« Laut einer Studie [4] des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) liegt das Durchschnittsalter von GründerInnen der IT-Branche in Deutschland bei 38 Jahren und ist damit relativ hoch. Da kann man auch sagen: Es ist noch nicht zu spät. Wichtig ist die nachhaltige Dimension des Gründens. Lieber viele kleine gesunde Unternehmen als wenige hochgezüchtete.
[1] Samuel Beckett: Worstward Ho, New York City 1983
[2] Joachim Hackmann in der Computerwoche vom 26.3.2013
computerwoche.de/a/wo-startups-am-besten-gedeihen,2529511
[3] Interview im Kölner Stadt-Anzeiger
ksta.de/wirtschaft/bitkom-muenchen-und-berlin-sind-startup-hauptstaedte,15187248,20801330.html
[4] bitkom.org/73980_73972.aspx
Kai Völcker kai.voeckler.de
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